Biorespect - Wir hinterfragen Biotechnik

Gentechnik in neuem Gewand

In den letzten Jahren wurden eine Reihe neuer gentechnischer Verfahren für die Pflanzen- und Tierzüchtung sowie die Humanmedizin entwickelt. Dazu gehören neben den Verfahren der Cisgenetik, die der bekannten (Trans-)Gentechnik sehr ähnlich sind, die sogenannten «Genome-Editing-Verfahren». Von diesen Verfahren verspricht man sich eine grössere Präzision, um das Erbgut von Pflanzen zielgerichtet und ohne Nebenwirkungen manipulieren zu können. Studien zeigen inzwischen, dass das Verfahren nicht ganz so exakt ist, wie erhofft.

Die Entwicklung in der Pflanzenzüchtung schreitet schnell voran. Noch immer ist offen, ob alle damit erzeugten Organismen rechtlich als «gentechnisch verändert» eingestuft werden. Die Agrarlobby macht Druck, die neuen Verfahren von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen. Dies würde zu Sicherheitslücken in der Risikobeurteilung führen.

biorespect und weitere 60 Organisationen aus der Schweiz fordern in einem gemeinsamen Positionspapier, dass die neuen gentechnischen Verfahren im Gentechnikgesetz weiterhin streng reguliert werden. 

Gesetzliche Regelung

Der Europäische Gerichtshof (EUGH), die höchste Instanz zur Auslegung des EU-Rechts, hat 2018 entschieden, dass auch durch Mutagenese entstandene Organismen als GVO im Sinn der GVO-Richtlinie einzuordnen sind. Eine rechtliche Einstufung dieser Verfahren als Gentechnik war danach die Voraussetzung für eine Regelung zur Kennzeichnung und Risikobewertung. 

Nach langem Ringen hat die EU-Kommission Anfang Juli 2023 einen Vorschlag vorgelegt, der den direkten Einfluss der AgroLobby widerspiegelt: Die neuen gentechnischen Verfahren sollen NICHT mit dem Gentechnikgesetz reguliert werden. Das schliesst auch eine Kennzeichnung der Produkte aus. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen nun entscheiden, ob sie dem Kommissionsvorschlag folgen. 

Die gesetzliche Regulierung der neuen gentechnischen Verfahren auf EU-Ebene hat auch direkte Auswirkungen auf die Debatte in der Schweiz und wird die Regulierung hier auch beeinflussen.

Auch in der Schweiz wird über den Umgang mit den neuen gentechnischen Verfahren (NGV) eingehend diskutiert. Auf der Basis eines Grundlagenberichts der Bundesämter für Landwirtschaft (BLW) und für Umwelt (BAFU) hat der Bundesrat 2019 erstmals Stellung bezogen zur zukünftigen Einordnung der NGV. Er klassifiziert sie in technischer und rechtlicher Hinsicht zwar grundsätzlich als gentechnische Verfahren, lässt aber offen, ob die daraus hergestellten Produkte gemäss der heutigen Gesetzgebung als gentechnisch veränderte Organismen gelten oder nicht. Entsprechend will der Bundesrat eine risikobasierte Anpassung der Gesetzgebung prüfen und die Eckpunkte zur Anpassung der rechtlichen Grundlagen festlegen. 

Risiken

Die neuen gentechnischen Verfahren werden als sicher angepriesen, doch sie bergen unvorhersehbare Risiken. Mögliche «Off-Target-Effekte», also ungewollte Nebeneffekte, die zu Veränderungen an nicht beabsichtigten Stellen im Genom führen, müssen bei der Diskussion über die Risiken unbedingt berücksichtigt werden. Eine 2017 veröffentlichte Studie hat solche unerwünschten Effekte beim Einsatz der Genschere CRISPR-Cas9 nachgewiesen. Die Forschenden zeigten, dass die Genschere nicht nur an der gewünschten Stelle im Erbgut schneidet, sondern hunderte ungeplanter Mutationen im Genom auslösen kann. 

Auch die betonte Präzision der Werkzeuge ist nicht nachgewiesen. Mit den neuen Verfahren mag es gelingen, ein einzelnes Gen auszuschalten. Die Auswirkungen eines solchen Eingriffs auf das multifunktionale Netzwerk des Genoms sind aber nur schwer vorhersehbar.

Auch wenn das Patentgesetz dies untersagt, erhalten Agro-Konzerne inzwischen zunehmend Patente auf Pflanzen, die mit den neuen Züchtungsverfahren entwickelt werden. Damit erhöht sich die Abhängigkeit der Bäuer:innen weltweit immer weiter. Saatgutpreise werden diktiert und der Saatgutmarkt weiter monopolisiert.

Nachweisbarkeit

Die Agrarindustrie und die mit ihr verknüpften Biotechnologieinstitute plädieren dafür, Verfahren, die keine rekombinante DNA verwenden, von der Risikobewertung, der Nachweis- und der Kennzeichnungspflicht auszunehmen. Es wird behauptet, dass die NGV zu Organismen und Produkten führe, die weder identifizierbar noch rückverfolgbar seien. Es sei somit unmöglich, sie den Regulierungen des Gentechnikgesetzes zu unterstellen. Diese Argumente sind nicht haltbar. Mit Hilfe von Referenzmaterial, dem Nachweis von sogenannten «Signaturen» und dokumentarischen Informationen können die NGV in den meisten Fällen ohne Probleme mit der gleichen Technologie (PCR) nachgewiesen werden, die bisher zum Nachweis von «klassischen» GVOs verwendet wurden.

Mehr Informationen: > SAG-Factsheet «Auch die neue Gentechnik lässt sich nachweisen»

Forderungen
  • Neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas9 müssen analog den klassischen gentechnischen Verfahren und Produkten reguliert werden: Zuerst muss eine Risikobewertung stehen, bei einer Zulassung gelten das Vorsorge- und Verursacherprinzip.
  • Die Wahlfreiheit muss umfassend erhalten bleiben.
  • Die genetische Vielfalt und die Biodiversität müssen durch den Schutz gentechnikfreier Produktion sichergestellt werden.
  • Es braucht eine lückenlose Kennzeichnungspflicht für die neuen gentechnischen Verfahren, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten.


Die Verfahren

Cisgenetik

Gene und weitere Elemente des eingeführten Genkonstrukts stammen ausschliesslich aus dem Genpool der jeweiligen Pflanzenart. Bei der Übertragung werden «klassische» gentechnische Verfahren verwendet.

Genome Editing

Genome Editing bezeichnet molekularbiologische Verfahren, mit denen gezielt Veränderungen in DNA-Sequenzen vorgenommen werden sollen. Gemeinsam ist den Verfahren, dass sie zellinterne Reparaturmechanismen ausnutzen, um die gewünschten Veränderungen am Genom vorzunehmen.

Oligonukleotid-gerichtete-Mutagenese

Kurze, synthetisch hergestellte DNA-Sequenzen werden direkt in die Zelle eingeschleust. Sie enthalten eine gewünschte Mutation und sind bis auf diese Abweichung komplementär zu dem Bereich des Genoms, der verändert werden soll. Dieses künstliche DNA-Molekül legt sich an die komplementäre DNA-Sequenz; die Abweichung wird durch noch nicht vollständig geklärte Mechanismen eingebaut. So werden die Zellen dazu veranlasst, die eigene DNA an der gewünschten Stelle dem fremden Vorbild anzupassen.

Genscheren (CRISPR-Cas9, TALEN, Zink-Finger-Nukleasen)

Als «Genscheren» werden Enzyme bezeichnet, die an bestimmte Stellen im Genom binden und es zerteilen. Dazu werden die Enzyme mit Gensonden gekoppelt, die durch ihre Struktur eine Affinität für spezifische Sequenzen im Genom (Zielorte) besitzen. Die Fähigkeit, an bestimmte DNA-Sequenzen zu binden, ist entsprechend dem Zielort modifizierbar. Die erzeugten Strangbrüche lösen zelleigene Reparaturmechanismen aus. Durch die Verfahren können Gene ausgeschaltet, verändert, entfernt oder hinzugefügt werden.

Genregulierung

Die RNA-Interferenz (RNAi) ist ein natürlicher Prozess und beruht auf der Wechselwirkung kurzer RNA-Stücke mit der Erbinformation übertragenden mRNA. Kurze sogenannte Mikro-RNA spaltet dabei die mRNA in Stücke, die zu übertragende Information wird zerstört und somit die Genfunktion blockiert (Gene silencing). Die Effekte können vorübergehend oder längerfristig sein (ohne oder mit einer Veränderung der DNA-Struktur).

Die RNAi-Technik soll Kulturpflanzen resistent gegenüber Schädlingen machen, indem die Pflanzen sogenannte Mikro-RNA selbst produzieren. Wenn die Schadinsekten die Pflanze fressen, nehmen sich die Mikro-RNA auf, die dann im Körper der Insekten lebenswichtige Gene abschalten kann. Wie weit solche Mikro-RNA nach der Aufnahme über die Nahrung auch den Stoffwechsel von Mensch und Tier beeinflussen kann, ist nicht geklärt. Ein Beispiel für die Anwendung ist der von Monsanto entwickelte Mais (MON87411), der gegen den westlichen Maiswurzelbohrer resistent ist.